ARAmersion 2008

 

Die Arbeit ARAMERSION besteht aus einem Raum (25m2) mit zwei Videoprojektionen mit Ton, einer Kamera, einem Monitor, drei Skulpturen, zwei Spiegel, Photos und Zeichnungen an den Wänden, verschiedenen Kabeln am Boden, den Wänden und der Decke sowie aus grösseren Elektoschrottstücken die überall im Raum verteilt sind.

Da ich in meiner theoretischen Arbeit, d.h. im schriftlichen Teil der Diplomarbeit das Thema der Virtualität (Virtualität und Virtuelle Welten) und deren Entstehungsgrundlage behandelte, wollte ich meine praktische Arbeit ebenfalls diesem Thema widmen, und zwar wieder in Form eines Experiments, das sozusagen empirisch prüft, wie eine virtuelle Situation erzeugt werden kann.
Der Raum sollte also eine Konstellation mit virtuellem Potential sein und den Schauplatz eines Experimentes zur Erschaffung einer virtuellen Realität darstellen. Grundlage dieses Experimentes ist die Raumkonstellation, die aus einem organisch anmutenden Geflecht von Kabeln und Elektroschrott besteht, das die Projektion (Beamer) mit dem Film (DVD-PLayer) und diesen mit den Körperskulpturen, den Spiegeln und den Photos/Zeichnungen im Raum verbindet.  
Das Experiment knüpft an dieses in RECALL(2005) an, wo Erinnerung aus einer Leber extrahiert und rekonstruiert wurde. ARAMERSION geht aber weiter und abstrahiert die Erinnerung selbst und schafft so eine fiktive Welt, eine Art Traumwelt oder Erinnerungswelt, in die der Betrachter durch das Betreten des Raumes oder Experimentes automatisch eintaucht. Bei jeder zyklischen Wiederholung des Filmes wird das Experiment erneut gestartet und die Maschine der Erinnerung in Gang gesetzt.

 

Inspiriert zu der Arbeit haben mich ganz verschiedene Dinge, mittelalterliche, leicht abergläubische Heiltechniken (Aderlass), der menschliche Körper an sich, also seine Erforschung, vorallem seines Inneren (Anatomie) und überhaupt körperliche Wahrnehmung und Bewusstesein. Weiter psychologische und seelische Entwicklungen und persönliche Transformationen und wie diese beispielsweise in Initationsriten der Eingeborenen und anderen sozialen Bräuchen behandelt werden, sowie Sinn und Zweck der dabei überall auf der Welt zum Einsatz kommenden Masken. Auch Naturkatastrophen, insbesondere Vulkanausbrüche, die in ihrer zerstörerischen Kraft und Unmittelbarkeit unserem persönlichen Empfinden von Schmerz, Angst und  Verzweiflung entsprechen. Gleichzeitig hinterlassen Katastrophen auch immer Spuren des Lebens, welches sie zerstört haben, und in manchen Fällen wie dem der vom Vesuv zerstörten Stadt Pompeji ist es sogar die Katastrophe selber, die die Spuren des alltägliche Leben in dieser Stadt konserviert und für die Nachwelt in einer Vollständigkeit überliefert hat, wie es ohne Katastrophie nie geschehen wäre.


Zur Erzeugung der virtuellen Realität im Raum wollte ich nicht auf Sensoren oder ein Computer-Interface zurückgreifen, da dort der Virtualitätsfaktor durch die entsprechende Technik bereits vorausgesetzt ist. Interessieren würde mich diese Vorgehensweisen zwar und ich kann mir auch vorstellen in Zukunft damit zu arbeiten, hier war es mir aber wichtig, eine ganz bestimmte virtuelle Welt zu erzeugen, nämlich die meiner eigenen Erinnerung an die 4 Jahr Studium, also im Grunde mein Leben so zu öffnen und darzustellen, dass ein Betrachter der Arbeit in dieses fiktionale Leben eintauchen kann. (denn ein „Leben“ ist ja selbst im autobiographischen Moment immer fiktiv, weil es im Moment der Betrachtung nicht gelebt, sondern betrachtet oder, wie hier, erinnert wird. Zugang zur Realität meines Lebens, dass heisst zum unmittelbaren Erlebens meines Lebens hab ja nur ich selber, und das auch nur in ganz „bewussten“ Momenten, alles andere ist Vorstellung!)
Mein Ziel war es also, dass der Betrachter sich mit mir, bzw. der „Person“ im Film die für mich steht, identifiziert und so meine Erinnerungen und Erfahrungen „miterleben“ kann. Es sollte mein Weg durch die Zeit des  Studium künstlich nachgestellt werden, also Glück und Schmerz, Emotionen Erkenntnisse etc., dies jedoch nicht in dokumentarischer Weise, sondern in abstahierter, d.h. im Grunde auch fast unpersönlicher Form.

 


 

Die Rekonstruktion der Erinnerung erfolgt im ganzen Raum, durch die Skulpturen, die Körperzustände repräsentieren und durch Photos und Zeichnungen aus dieser Zeit an den Wänden.

Die Hauptarbeit, insbesondere was den Wandel und die Entwicklung angeht, wird jedoch von den beiden Videoprojektionen, bzw. von den beiden Filmen geleistet. Die Gegenstände, die sich im Raum befinden, kommen jedoch im Film auch vor, wodurch unter Umständen die Weise, wie sie ihr Betrachter wahrnimmt, manipuliert werden kann. Nämlich immer dann, wenn zu dem, was der Gegenstand im Betrachter an Erinnerung auslöst die Bedeutung kommt, die der Gegenstand im Film hat. Die beiden Videoprojektionen, die auf zwei Seiten des Raumes erfolgen, zeigen zwei weithin identische Filme, die sich nur ab und zu unterscheiden, so z.B in einem Teil gegen Ende des Filmes, wo sich zwei maskierte Menschen gegenseitig filmen, die beiden Projektionen zeigen dann gleichzeitig die Perspektive des jeweiligen Maskierten auf den anderen.

Der Film ist in 5 Teile gegliedert, die ich auf den folgenden Seiten einzel vorstelle. Jeder Teil besteht aus einer eigenen Landschaft durch die verschiedene „Ichs“ wandern, bzw. ein Ich, das sich verwandelt und in jeder neuen Welt (oder Level, wenn man das Leben als Spiel anschaut..) in neuer Gestalt erscheint. Die Rolle des Ichs habe ich meist selber übernommen, manchmal werde ich aber von andern Personen unterstützt oder geführt. Dabei trage ich unterschiedliche Masken wie bei den Initiationsritualen von Eingeborenen.

Da der Film sechseinhalb Stunden dauert, wird der Betrachter wahrscheinlich nur einen kleinen Ausschnitt miterleben. Die Länge des Filmes war mir aber wichtig, um ein Gefühl von Echtzeit zu erzeugen (seelische Entwicklungen dauern ja bekanntlich) und dennoch die „ganze Geschichte“ darstellen zu können. Ich habe versucht, Gedanken, Geühle und Zustände in Landschaften zu verwandeln, welche ich mit Hilfe von Cinema4D gebaut habe. Die jeweiligen Welten sind also fiktive Seelenlandschaft, der Wechsel von einer Welt in die andere erfolgt ganz unterschiedlich: durch versteckte Türen, durch Sogwirkung, etc. Diese Uebergänge oder Transite ereignen sich meist blitzartig, wie in der Quantenphysik, wo sich durch Quantensprünge aus dem Nichts plötzlich eine neue Realität manifestiert.

 

 

Die beiden Seiten des Raumes, die nicht als Projektionsflächen dienen, sind mit 2 grossen Spiegeln ganzflächig eingekleidet, wodurch sich die Projektion verdoppelt. Die drei Skulpturen im Raum, die an menschliche Körper erinnern, bestehen aus einem Drahtgittergerüst, welches mit einer Mischung aus Bauschaum und Reis überzogen wurde. Im Innern der Figuren sind verschieden farbenen Lichter installiert: grün, rot und gelb. Die Skulpturen entsprechen je einer Landschaft und sollen deren Seelenzustand körperlich sichtbar machen. Die dritte Skulptur, die einen von der Decke hängenden Menschen darstellt, hat an Stelle des Kopfes einen Monitor, welcher Live die Bilder überträgt, die von einer im Raum befindlichen Kamera gefilmt werden. Inspiriert zu den Skulpturen haben mich die durch die Lava konservierten Körper der Menschen, die beim Ausbruchs des Vesuv im Jahr 79 n. Chr. in Pompeji starben.

Im Raum sind weiter noch verschiedene Elektroschrottstücke verteilt, um das Gefühl von Erinnerung zu unterstützen, die ja auch ohne äusseren Anlass in uns weiter besteht.

Insgesammt gesehen war es mir wichtig, dem Betrachter sowohl eine immersive als auch, durch die Idee des Experiments dahinter und die schriftliche Arbeit, eine konzeptuelle Herangehensweise an die Arbeit zu ermöglichen.

Für mich persönlich ist ARAMERSION eine sehr wichtige Arbeit, weil ich viel darüber lernen konnte wie ich mit dem Raum umgehen und die verschiedenen Medien anwenden und kombinieren möchte. Ich habe bei MITOTE, 2009 konzeptuell vieles übernehmen können und würde das Prinzip gerne noch mehr konkretisieren und in viel minimalistischer Weise umsetzen. Denn mit der schlussendlichen Präsentation der Arbeit war ich nicht zufrieden, vieles war zu unbestimmt, um beim Betrachter die Wirkung zu erzielen die ich mir gewünscht habe. Das Feedback auf die Arbeit fiel dann auch sehr unterschiedlich aus, viele Besucher der Diplomausstellung sagten, sie hätten den Raum nicht gefunden, obwohl er doch immerhin 25m2 gross war und mitten in der Ausstellung. Beim Beobachten der Leute im Raum hatte ich oft den Eindruck, dass dieser ihnen Unbehagen verschafft und sie ihn gerne sehr schnell wieder verlassen haben.

Am interessantesten für mich war jedoch, dass ich immer wieder von einzelnen Menschen extrem positive Rückmeldungen bekamm, und das waren Teenager, ältere Frauen um die 50, sowie eher schüchterne und zurückhaltende Menschen. Vielleicht liegt es auch einfach nur daran, dass es im Raum eher dunkel, ruhig und leer war, aber diese Menschen scheinen das, was die anderen abgeschreckt hat, nicht als Bedrohnung empfunden zu haben, sonder im Gegenteil als beruhigend und liebevoll, wenn auch nicht harmlos. Diese ganz unterschiedlichen Rezeptionen finde ich extrem spannend und ich würde dieses Phänomen gerne als Ansatzpunkt für ein neues Experiment benutzen.